Braucht Kunst Preise ?

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Sehr geehrter Herr Präsident.

Sehr geehrter Herr Piepenbrock, liebe Frau Piepenbrock,

liebe Kollegen und Studenten,


zu meinem großen Bedauern ist es mir als langjährigem Mitglied der Jury um die

alljährliche Vergabe des Piepenbrock-Preises bisher niemals gelungen, an einer

solchen Preisverleihung teilzunehmen. Als kleine Form der Wiedergutmachung

möchte ich heute nicht nur diesen Preis loben, den ich selbst für auszeichnenswert

erachte, sondern ein paar Gedanken zum Preis-Kunst-Verhältnis äußern dürfen,

ausgehend von der Frage: Brauch Kunst Preise?

Und hinleitend zu der Antwort: auf jeden Fall!

Preise in der einen wie anderen Richtung.


Ich denke, wir in dieser Runde haben einen Grundkonsens darüber, dass man Kunst in jeder Hinsicht preisen soll. Dieser eher ideellen Verehrung steht eine allzu prosaische Wirklichkeit gegenüber, dass Kunst als Objekt des Handelns und der Begierde einen Preis hat und haben muss. Dieser sogenannte Marktpreis mag sicherlich ein Äquivalent für die Wertschätzung eines Künstlers und seines Werkes sein, bleibt aber insgesamt - und für den Laien noch viel mehr - vollkommen uneinsichtig in seiner Entstehung und in seiner Entwicklung. Kunst ist auf der einen Seite, der des Künstlers, ein ideeller Akt, auf der anderen Seite, dem der Vermarktung von Kunst, eine spekulative Angelegenheit. Und dazwischen, Hohes und Tiefes, Metaphysisches und Banales vermittelnd, steht und bewegt sich der Preis, den wir als selbstverständlich annehmen, dessen Natur zu ergründen allerdings schwer fällt.


„Mit scharfem Blick, nach Kennerweise,

seh’ ich zunächst mal nach dem Preise,

Und bei genauerer Betrachtung

Steigt mit dem Preise auch die Achtung“

So dichtete Wilhelm Busch 1884 in seinem unvergleichbaren „Maler Klecksel“.


Die Bedingtheit von Preis und Achtung besteht unvermindert. Doch wie fragwürdig den Zusammenhalt zwischen Werk und Preis in der Kunst sein kann, möchte ich Ihnen an einigen, eher zufällig ausgewählten Beispielen zeigen. Aber, um es vorwegzunehmen: eine eindeutige Antwort, d.h. eine Klarheit im Preisgefüge für die bildende Kunst gibt es nicht, weil immer zu viele Faktoren hineinspielen.


Wir haben es in der bildenden Kunst mit zwei Auffälligkeiten zu tun: dass nämlich dieser höchste ideeller Besitz der Menschheit zugleich ihr materiell teuerstes Gut ist. Und dass es in diesem Bereich kein annähernd stabiles Preis-Leistungsverhältnis gibt, keinen Stundenlohn, keinen Quadratmeterpreis. Und dass im Vergleich zu anderen Berufen die reinen Materialkosten so gut wie nichts zählen, dass also letztlich nur eine ideelle, nicht messbare, schwer auf ein rechnerisches Gleichmaß zu bringende Qualität den Wert und damit den Preis eines Kunstwerkes ausmacht. Die Preisgestaltung auf dem Kunstmarkt erscheint höchst irrational, weil in das Belieben von Künstlern oder Händlern gelegt, vorsätzlich oft überhöht, von der Nachfrage dann wieder zurückgestuft. Stirbt ein Künstler, so fallen die Preise, die er jetzt nicht mehr selbst kalkuliert. Oder sie steigen plötzlich an, weil schon im Vorfeld spekuliert wurde. Die Maßgabe: „Qualität hat ihren Preis“ gilt in der Kunst genauso wie bei guten Weinen, doch im Gegensatz zu diesem ist die Geschmacksbildung bei der Kunst höchst diffus.


Was bedingt den Preis an der Kunst? Das Alter, die Originalität, die Qualität, die im Auge des Betrachters liegt und wie er selbst sehr wechsellaunig sein kann? Oder ist es der Nimbus des Künstlers - oder nur der seines Namens?


Nehmen Sie beispielsweise als eine herausragende Ikone des Kunstbetriebes, in ideeller wie materieller Hinsicht, Rembrandts „Mann mit dem Goldhelm“, oder besser: das Bildnis eines versoffenen Modells, dem ein goldpatinierter Helm auf den ungalanten Kopf gedrückt wurde, um einem Maller Modell zu sitzen, der vielleicht Rembrandt hier. In Phasen, da Rembrandt Harmensz van Rijn in den Augen der Wissenschaft zweifelsfrei als Urheber feststeht, hängt das Bild in der noblen Reihe weltbedeutender Gemälde. Kaum kommen Zweifel auf, und das geschieht regelmäßig, wird es zur Schülerarbeit herabgestuft und verschwindet in den Magazinen. Das treibt die Kunstpostkartenverkäufer an der Museumskasse in den Wahnsinn. Rembrandt selbst hätte es vielleicht amüsiert, obwohl er zu Lebzeiten schmerzlich den Wertverlust seiner Arbeit mit ansehen musste. Ja, meine Damen und Herren, Rembrandt, dieser auch aus seiner Zeit herausragende Maler-Unternehmer, ging bankrott. Heute ist er schlechthin unbezahlbar. Der Nimbus des Urhebers hat in der Kunst offensichtlich einen hohen Preis. Der aber scheint - wie das Beispiel zeigt - oft instabil und unberechenbar.


Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts gibt es das Wort Preis. Es kommt aus dem Mittelhochdeutschen, hat seinen sakralen Hintergrund, der auf „Herrlichkeit“ und „Ruhm“ verweist. „Nun preiset alle Gott…“

Seit dem 16. Jahrhundert, dem Anbruch der Welt des Handels und des Gewerbes, hat der Begriff eine zweite Bedeutungsebene, die des Geldwertes im Tausch- oder Warenhandel. Beide Ebenen, die theologische wie prosaische, bestehen bis heute nebeneinander und haben sich doch klar voneinander differenziert. Eine Preisverleihung, wie hier und heute vorgenommen, ist immer etwas anderes, als eine Ware anzupreisen oder auszupreisen. Verwechslungen kommen nicht vor, solange die ideellen von den materiellen Gütern klar getrennt sind, Literatur von Lebensmitteln etwa. Aber in der bildenden Kunst haben wir eben die schönste Geistigkeit in ein zerbrechliches materielles Gewand gekleidet, das auch noch über den Markt getragen werden will, um Anerkennung und Ruhm, also Preis zu gewinnen. Denn das wissen wir: unser Kunstbetrieb lässt es keinesfalls zu, dass im Verborgenen Schätze blühen, also aus dem Nichts eine ganz exorbitante Künstlerische Leistung in den Zenit der Verehrung - und damit auch des Preises - schnellt.


Wie lange es zuweilen allerdings dauern kann, bis das eine sich zum anderen gesellt, bis der Preis sozusagen das Kunstwerk weltlich adelt und es in die höchste Kategorie des Handels hineinkatapultiert, was als Maß der Wertschätzung offenkundig wird, das zeigt auf eine geradezu betroffen machende Weise das Werk des Vincent van Gogh.


In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts spielte sich in einer kleinen holländischen Gemeinde eine bemerkenswerte Szene ab: ein Bauernjunge fuhr mit einer Schubkarre die Dorfstrasse entlang und pries (sic!) das in seiner Karre Gelagerte zum Verkauf an. Es waren Zeichnungen Vincent van Goghs, die dieser, der ist hastig die Etappen seines unglücklichen Lebens tauschen musste, als Pfand bei seinem Vermieter zurückgelassen hatte. Die Zeichnungen hatten nach heutigem Geldwert umgerechnet einen Preis von 5 Cent. Heute allerdings würde unser Lebensgehalt nicht ausreichen, auch nur eines dieser Blätter zu erwerben. Ein Bauer nahm sich des Knaben an und erwarb zu einem nicht wesentlich höheren Preis eine bemalte Holztafel, aber nicht aus Kunstsinn, sondern weil er damit endlich das Loch in seinem Hühnerstall abdichten konnte, das dem Fuchs nächtlichen Einschlupf bot.


Im Jahr 1910, also 18 Jahre nach dem Freitod Vincent van Goghs, wurde ein Mann namens Minus Oostrijk, der ihm gelegentlich Modell gesessen hatte, nach seinem Urteil über van Goghs Bilder befragt und antwortete: „Es war Kunst, aber wenn mir jemand sagt, das wäre schön, so sage ich: nein. Ich habe Maler gekannt, die so was zehnmal besser machen, und die sind nicht berühmt geworden. Das ist eine Ungerechtigkeit. Die Leute reden einander alles nach, Herr van Gogh wird sich nicht halten. -heute ist er noch berühmt, aber das wird anders werden. Wollen Sie wissen, wie ich seine Zeichnungen fand? Ich fand sie zu abstoßend.“


Wir werden uns diesem Urteil natürlich nicht anschließen und spüren in jedem Schritt von van Goghs äußerlich so glücklosen Biografie eine fast unmenschliche Belastung, welches seine Leistungen derart überschattete, dass sie kaum jemand zu Lebzeiten und auch noch nach Tod des Künstlers angemessen respektierte. Van Gogh träumte sein Leben lang davon, von seiner Arbeit als freiberuflicher Maler leben zu können, vergeblich. Es gibt nur den Hinweis auf einen einzigen Verkauf in seinem Leben: 1890 erwarb die Malerin Anna Boch das Gemälde „Der rote Weinberg“ für 400 Francs.


Sie werden fragen: wofür oder wogegen das spräche, denn van Gogh ist als Maler wie als Mensch gewiss kein Prototyp für Kunstpreisgestaltung und sein Schicksal keinesfalls zu verallgemeinern.

Ich meine: dass wir es - wie dieses extreme Beispiel zeigt - akzeptieren, die höchste Begabung den tiefsten Tiefen menschlichen Leids auszusetzen, damit dort eine Kunst entstehen kann, die wir als Epochenleistung feiern, wenn der Künstler davon selbst nichts mehr hat. Andere Beispiele natürlich gibt es, in denen der leibhaftige Künstler nicht nur an seinem Ruhm, auch seinem Preis profitiert und sehr wohl das eine mittels des anderen zu bescheunigen weiß. Darauf komme ich später zurück.


Hätte man van Gogh zur Erleichterung seines Daseins ein Stipendium geben sollen? Einen Piepenbrock-Preis? Ihn, den man wegen Unfähigkeit bereits in der Grundklasse von der Antwerpener Akademie verwies? Die Vorstellung, ihn mit einem Stipendium zu versehen und meinetwegen in der Villa Massimo in Rom ein Jahr lang von weltlichen Lasten freizuhalten, ist absurd. Das ohnehin schwache Selbstwertgefühl dieses Malers wäre korrumpiert worden, hätte van Gogh vor der Presse Interviews über seine ästhetischen Anliegen gegeben oder an den eigenen Vernissagen teilnehmen müssen.


Als vor 200 Jahren das Dezimalsystem eingeführt wurde, erkannte der Göttinger Philosoph Lichtenberg umgehend die Erleichterung und Bequemlichkeit, die das mit sich brachte, fragte allerdings auch, ob das Bequeme auch das Wahre sei. in der bildenden Kunst sicherlich nicht.

Denn wir wissen, dass eine aus den Jahren des Wohlstands hervorgegangene Künstlerförderung, die sich auf probate Förderungsstätten im In- und Ausland verteilt, zwar für viele bewährte bildende Künstler ein Segen ist, allerdings auch einen bemessenen Kreis von Immer-wieder-Geförderten hervorbringt, bei denen man nicht zu sagen weiß, ob ihre Arbeit ohne solche staatlich zugesicherte Förderung überhaupt trägt. Ein über stete Förderungsaufenthalte ins Alter begleiteter Künstler ist eine Schreckensvision - und damit das allerdings vorkommende Gegenbeispiel zu einem gesellschaftlichen Außenseiter wie Vincent van Gogh. Und während der durchzusetzen versucht, hat eben ein van Gogh nicht nur seine Werke niemals verkauft, sondern, wie wir gesehen haben, nicht einmal zu verschenken vermocht.


Als van Gogh im Jahr 1890 nach wiederholtem Aufenthalt im Krankenhaus der Stadt Arles dem ihn betreuenden Arzt Dr. Rey zum Abschied ein Gemälde aus Dankbarkeit schenken wollte, die mittlerweile weltberühmte Ansicht eines Krankensaales, lehnte dieser das Geschenk ab. Im selben Augenblick betrat ein gewisser Monsieur Huard, Verwalter des Spitals und zugleich Direktor des örtlichen Museums, den Raum, und van Gogh bot ihm in seiner Verlegenheit das Gemälde an. Huard wies es mit den Worten abfällig zurück: “Was glauben Sie, was ich mit einer solchen Schmiererei anfangen könnte?“ Der Apotheker des Spitals, der es schließlich annahm, um die peinliche Szene zu beenden, verkaufte es später für ein halbes Vermögen. Ein Motiv für van Goghs Freitod im Jahr 1892 in den Feldern von Auvers war sicherlich die nicht enden wollende finanzielle Abhängigkeit von seinem Bruder Theo.


Das Selbstwertgefühl des Künstlers steht auf der einen, der Preis für seine Leistungen auf der anderen Seite. Die mit der Romantik beginnende Freie künstlerische Existenz hat die Artisten schutzlos den rauen Winden der Wirklichkeit ausgesetzt, sie allerdings mit Freiheit ausgestattet, die einem anderen Berufsbild fehlen. Sie sind isoliert und Einzelgänger, die über den Kunstmarkt ihre Legitimation, ihr Auskommen finden. Sie machen die Werke, der Markt macht die Preise. Fehlen letztere, geht ihre Existenz zum Teufel. Dem vorzubeugen ist nahezu jedes Mittel diesseits der Legalität recht. Wir wissen (und werden es später noch bestätigt finden), wie argwöhnisch ein zu Lebzeiten unvergleichbar berühmter und teurer Maler wie Pablo Picasso die Wertentwicklung seiner Bilder auf dem internationalen Kunstmarkt beobachtete und im Falle eine Niedergangs des Preises mittels Strohmännern eigene Werke auf Auktionen in die Höhe bieten ließ, um wieder interessant (und teuer) zu sein.


Kein seltenes und kein ganz neues Phänomen übrigens. Auch eine Berühmtheit wie Claude Monet wachte argwöhnisch über die Praktiken seiner Galeristen und spielte ohne Skrupel den einen gegen den anderen aus, wenn damit die Aussicht auf Wertzuwachs seiner Gemälde verbunden war.

Im Jahr 1900 betrug übrigens Monets Jahreseinkommen 213.000 Francs, 1904 über 270.000 Francs. (Wir denken an van Goghs 400 Franc-Bild!) Der Stückpreis pro Gemälde lag zu Lebzeiten bei Monet bei etwa 10.000 Francs, der internationale Markt bediente sich damals bereits seiner Werke. Monet lebte damals als Grandseigneur der impressionistischen Malerei auf seinem Landsitz in Giverny, als Patriarch inmitten einer großen Familie, aber wer weiß schon, wie viel Schatten auch auf seinem Leben lag, das von Traurigkeiten gepeinigt war und dem bis ins Alter jedes übertriebenes Selbstwertgefühl fehlte. So schrieb er seinem Galeristen Bernheim-Jeune: „Als Maler habe ich getan, was ich konnte. Und das scheint mir genug. Ich möchte nicht mit den großen Meistern der Vergangenheit verglichen werden, und meine Arbeit verdient Kritik: das genügt.“ 


Im Laufe seines auch von existentiellen Krisen erschütterten Malerlebens hat Claude Monet mehr Gemälde von eigener Hand zerstört als von Ihm heute noch vorhanden sind. Besucher seines legendären Großraumateliers berichten von Stapeln zerrissener Leinwände. Im April 1907 z.B. zerschnitt er in einem Wutanfall dreißig großformatige Seerosenbilder. Was für ein unersetzlicher Verlust, in ideeller wie materieller Hinsicht, werden Sie denken. Vielleicht aber hat der gute Monet in solchen Momenten tiefster Verzweiflung nichtsahnend der eigenen Inflation vorgebeugt und seinen Marktwert hoch gehalten.


„ich zerstöre“, schrieb er im Februar 1924, „was es an einigermaßen Gutem gab. Daher die schrecklichen Zustände von Entmutigung, denn ich fühle gut, dass ich zu nichts mehr tauge, dass mein Malerleben von nun an zu Ende ist.“


Was ihn letztlich beruhigen konnte und nicht aus der Bahn warf, war die Genugtuung des bleibenden Ruhmes und der Anerkennung seiner Lebensarbeit. Soviel mag der Kunstmarkt die ideelle Welt der Kunst doch zu beschwichtigen, dass er den Preis als Index für Wertschätzung instrumentiert, allerdings auch immer die eigene Wertschöpfung im Hintergrund hat. Im Regelfall verdienen Galerist und lebender Künstler jeweils die Hälfte, nach dem Tode des Künstlers zehren die Nachkommen davon, aber 70 Jahre nach dem Tode der Kunsthandel allein. Eine Kunst, von der Gesellschaft gepriesen, hat ihren Preis, der sich allerdings posthum nach Produzenten dienen braucht. Gemessen an den damals nicht eben geringen Preisen für einen Monet waren sie doch aus heutiger Sicht reine Schnäppchen. Von van Gogh sprechen wir in diesem Zusammenhang lieber nicht.


Kunst braucht Preise, auch als Merkmal der Qualität, weil es kaum andere Messgrößen geben kann, um ideelle Dimensionen, die Bedeutung eines Kunstwerks zu benennen und auf Dauer sicherzustellen. Die teuersten Bilder werden langfristig auch immer die besten sein. Aber das zumeist, wenn der Künstler selbst oder deren Erben davon nichts mehr haben, und aus der Angelegenheit des Warenhandels ein reines Spekulationsgeschäft geworden ist. In einem Schweizer Tresor lagert seit mehr als einem Dutzend Jahren ein Gemälde Claude Monets, das in dieser Zeit nicht das Tageslicht oder auch nur das Galerielicht erblickte, während es in gleichem Zeittraum mehrfach den Besitzer wechselte und um ein Vielfaches im Wert gestiegen ist. Solange es reines Spekulationsobjekt bleibt, wird es wohl niemand zu Gesicht bekommen.


Geld beruhigt, macht aber allein nicht glücklich. Diese triviale Weisheit auf die Sache der Kunst umgemünzt bedeutet etwa soviel: der zu entrichtende Preis für ein Kunstwert ist bei allem spürbaren Missverhältnis Ausdruck für die Suche nach einem Äquivalent, um die Besonderheit einer Leistung, ihre Einzigartigkeit, zu benennen. Denn dieses hat das originäre Werk der bildenden Kunst an sich: dass es nur ein einziges Mal in der Welt vorkommt, Literatur hingegen in Massenauflagen, Grafik in bemessener Zahl. Dieses Alleinstellungsmerkmal der Malerei ist ihr Glanz und ihr Elend, weil sie im Geldwert einen Maßstab annimmt und annehmen muss, den ihr Urheber nicht in das Werk hineingelegt hat. Der Sinn eines Bildes ist nicht Durchlaufen des Marktes, sein Wandern über die Wände verschiedener Eigentümer, um am Ende im Museum oder auf dem Speermüll zu landen. Diese Wanderung durch die Niederungen unserer Konsumwelt gereicht dem wahren Kunstwerk aber letztlich zur Ehre, wenn es als Unikat behandelt und gehandelt wird, in der Achtung wie im Preise steigt und im Höchstfall materiell unbewertbar wird. Ob Leonardos „Mona Lisa“ 4 oder 5 Milliarden Euro wert ist, was ist das noch für ein Unterschied? Und van Gogh Bildnis des „Dr. Gachet“, das 1990 für 75 Millionen Dollar plus Aufgeldversteigert wurde, steht an dieser Schwelle, hinter der der materielle Wert bzw. nicht mehr wirklich als Äquivalent zu gebrauchen ist, weil niemand einen solchen Preis bezahlen könnte.


Es bleibt zuletzt noch der Kunstpreis, dieser als Anerkennung zugedachte Förderpreis, wie er heute hier verliehen werden wird. Es ist der nobelste unter allen Preisen, weil er Gutes tut und Leistungen zur Reife bringen kann. Sehen Sie, vor zwei Wochen habe ich einer ehemaligen Studentin dieses Fachbereichs eine Ausstellung eröffnen dürfen, die nicht nur gut war, sondern am selben Abend so gut wie ausverkauft. Und die Künstlerin wurde in den neunziger Jahren zweifach mit dem Piepenbrock-Preis an dieser Stelle ausgezeichnet, eine Anerkennung, die ihr sicherlich nicht zu Kopf gestiegen ist, ihr aber auf dem entschlossenen Weg zur bildenden Kunst doch vielleicht im geeigneten Moment einen nachhaltigen Impuls gegeben hat. Und das, meine Damen und Herren und liebes Ehepaar Piepenbrock, kann dieser Preis, und ich freue mich über die langfristige Resonanz auf solche Abende.


Ein Kunstpreis wie der heute verliehene ist ein guter Anreiz, auf dem dornigen Weg, der zur freien Kunst führen kann, mit Entschiedenheit und Selbstvertrauen zu gehen. Fehlt beides, kann unter erschwerten Bedingungen, wie wir gesehen haben, ebenso große Kunst entstehen. Doch das Leiden oder die Entbehrung allein werden eine solche genauso wenig hervorbringen wie die umsichtigste und wohlwollendste Förderung. Die Qualität der Kunst kommt aus dem Innern des Künstlers - kompromisslos, konzessionslos und rein. So oder so ähnlich hat es auch Max Liebermann einmal formuliert. Liebermann malte übrigens auch, um reich und berühmt zu werden und später, um beides zu bleiben. Das mag man ihm nicht verübeln. Doch so sehr die Kunst mit ihrem Preis am Markt hängt, der Reichtum allein ist kein Ziel. Ein Maler, der beim Malen ans Geldverdienen denkt, ist wohl für die Kunst verloren.


Aus gebotenem Anlass möchte ich als kleine Gabe den heute hier Geehrten und Ihnen allen ein Gedicht von Robert Gernhardt zum Vortrage bringen, das vom Ernst des Themas ein wenig abrückt, aber vielleicht doch einen ganz entschieden wahren Kern dieser komplizierten und doch notwendigen Verbindung von Kunst und Preis offenbart.


Der Maler Pablo Picasso schreibt an seinen Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler


Sehr geehrter Kunsthändler Kahnweiler,


Wir hatten einen Deal gemacht,

der hat bis jetzt nicht viel gebracht.


Erst hab ich blau in blau gemalt,

Sie haben äußerst mau gezahlt.


Dann hab ich’s mit Rosé versucht,

doch nichts im Portemonnaie verbucht.


Nun also wären Kuben dran -

Sie schaffen nicht mal Tuben an.


Wird ich nicht nach Tarif bezahlt,

wird ab sofort naiv gemalt.


Zwar beißt die Maus kein Faden ab,

dass ich davon den Schaden hab,


doch trudeln keine Mäuse ein,

stürzt langsam mein Gehäuse ein.


Mein Herr! Sie haben Braque bedacht,

und der hat nichts als Quack gebracht.


Sie haben Juan Gris bezahlt,

und der hat ziemlich mies gemalt.


Zwar stimmt es, dass die Pressewelt,

vor meinem Werk die Fresse hält,


doch lässt mich unser Blätterwald

samt selbsternannter Retter kalt.


Den haben sie mit Dank bedacht -

Die Nachwelt hat sich krank gelacht.


Den haben sie durch Spott versehrt -

Heut wird der Mann als Gott verehrt.


Wie wenig ein Verriss bewegt,

hat eben erst Matisse belegt.


Zwar hat er einen Schreck gekriegt,

doch den hat rasch Ihr Scheck besiegt.


Solang Sie ihm die Bilder zahl‘n,

wird Henri wie ein Wilder mal‘n.


Da jeder, sofern Bares lacht,

gern Schönes, Gutes, Wahres macht.


Mit vorzüglicher Hochachtung

Pablo Picasso, Kunstmaler



P.S.: Ein Vorschlag zur Güte:

Zunächst wird kräftig angezahlt,

sodann wird wie Cezanne gemalt,

der Gegenstand wird kleingehackt

und soviel Schotter eingesackt,

dass jeder, der Picasso kennt,

ihm nur noch Herrn Incasso nennt.



Bernd Küster

Osnabrück 09.12.2005


(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Prof. Dr. Bernd Küster

  1. *6. Juli 1952 in Bodenwerder 


1970-1979 Studium der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft

                  und Philosophie an der Philipps-Universität Marburg.

                  Abschluss mit der Promotion zum „Dr. phil.“ und der

                  Note „sehr gut“.

1973-1979 Nebenamtliche Lehrtätigkeit in der Erwachsenenbildung.

1979-1980 Dozent für deutsche Sprache in Antibes/Frankreich.

1980-1982 Wissenschaftlicher Volontär am Landesmuseum für

                  Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg.

1983-1985 Wissenschaftl. Angestellter d. Philipps-Universität Marburg

1986-1989 Angestellter im Kulturbereich beim Landkreis Osterholz.

1987          Verleihung des Otto-Ubbelohde-Preises durch den

                  Landkreis Marburg-Biedenkopf.

1990-1998 Lehrbeauftragter im Fachbereich Kulturwissenschaften   

                  der Universität Bremen.

1991-1999 Leiter der Kunsthalle Wilhelmshaven.

1997          Verleihung des Rudolf-Jahns-Preises.

seit 1999   Direktor des Landesmuseums für Kunst und Kultur-

                  geschichte Oldenburg.

seit 2002   Lehrauftrag im Fachbereich Kunst/ Kunstpädagogik

                  an der Universität Osnabrück.

2003          Ernennung zum Honorarprofessor.

2009          Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK)

Welch wichtige Frage! Sowohl den Bezug auf Auszeichnungen nach wettbewerblichem Vergleich, den Wert künstlerischen Schaffens wie auch das Honorar künstlerischer Arbeit fokussierend, skizziert Prof. Bernd Küster diverse Aspekte des Themas in humorvoller, aber treffsicherer Argumentation in seiner gefeierten Rede anlässlich der Verleihung des Piepenbrock-Kunstpreises am 9.12.2005 in der Universität Osnabrück. Die Anwesenden tobten vor Begeisterung, überrascht von so mancher Sichtweise und beseelt vom erkenntnisreichen Realbezug hinter der beißenden Ironie. Auch ich war von dem Vortrag derartig begeistert, dass ich ihn - mit Genehmigung des Autors - hier noch einmal veröffentlichen musste. Viel Spaß damit!!!

Karsten Kräutner